Szenario 1

Was man aus einer Tonleiter für Klavier machen kann.

Das Material

Das Ausgangsmaterial für die kleine Komposition ist eine absteigende E minor Skala, beginnend bei der Quinte "h"

  1. Die Skala wird harmonisch angereichert durch parallele Quinten darunter.
  2. ​Damit die Melodie nicht zu langweilig wird, bewegt sie sich einige Takte im Zickzack: Terz abwärts - Sekunde aufwärts usw.
  3. Der Rest ist dann etwas freier gestaltet mit dem Ziel, beim Grundton zu landen.

Schritt f​ür Schritt

​Das Video zeigt die einzelnen Schritte der Reihe nach.

​zum Vergrößern  klicken.

Kommentar:

Die kleine Komposition klingt bereits mit den “Bordmitteln“ von Sibelius schon ganz nett. Dazu tragen vor allem der gehaltene Streicherklang (Orgelpunkt) und der Hall des Konzertsaals bei. Trotzdem sieht der Notentext noch etwas "dünn" aus. Interpreten würden sich spontan Gedanken darüber machen, wie diese Musik interpretiert werden könnte.

 mehr ...

​Markensoftware ist immer bestrebt, dem Benutzer auf möglichst einfache Weise ein akzeptables Ergebnis zu präsentieren. Das kann aber auch lästig sein, wenn man nicht genau weiß, was die Software im Hintergrund macht. Zum Beispiel gibt es in Sibelius die Möglichkeit, die Spielweise von „Meccanico bis Molto Espressivo“ und zusätzlich den Rubato-Stil (Temposchwankungen) von „Meccanico bis Multo Rubato“ einzustellen. Ob das Ergebnis zufriedenstellend ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. 

Aus dem professionellen Bereich ist zu hören, dass man bei der Arbeit mit virtuellen Instrumenten eigentlich jede Note „anfassen“ muss. Es empfiehlt sich daher, alle Voreinstellungen wie oben beschrieben zu deaktivieren und „selbst“ Hand anzulegen. Bei Notationsprogrammen kann man in der Regel die Parameter Lautstärke, Startposition oder Notendauer unabhängig vom Notenbild fein einstellen. 

Dies lässt sich sehr eindrucksvoll demonstrieren, wenn man z.B. versucht, eine Tonleiter möglichst synchron und gleichmäßig zum Viertelklick eines Metronoms auf einem separaten MIDI-Keyboard zu spielen: Die Werte für die gespielte Anschlagstärke, die Startpositionen oder die Notendauern werden garantiert nicht zu 100% übereinstimmen. 

Würde man die gleiche Skala mit der Maus eingeben, wären die obigen Abspielwerte immer konstant - und so klingt das Ergebnis leider auch. Jetzt erkennt man, in welchem Dilemma man sich befindet, wenn man Musik einspielt - und das gilt übrigens auch für die Arbeit mit einer DAW. ​

Standardmäßig eingegebene Töne erhalten von der Software zunächst einmal „Standardwerte“ – je nach Voreinstellung. 

Lösung 1: Gegebenenfalls können diese „Standardwerte“ durch Plugins oder Programmeinstellungen zufriedenstellend verändert werden. 

Lösung 2: Die Nachbearbeitung „Note für Note“ ist von Vorteil - unabhängig davon, ob die Töne per Klick eingespielt oder z.B. über die Tastatur eingegeben wurden.  

Der Notentext der kleinen Klavierkomposition wurde über ein externes MIDI-Keyboard in Sibelius eingegeben, allerdings ohne Metronomaufnahme, d.h. alle Anschlagstärken sind gleich, die Startpositionen liegen zeitlich an der Position des jeweiligen Notenwertes und die Notendauern entsprechen den rhythmischen Werten. Das Ganze ist natürlich an die gewählte Klangbibliothek gekoppelt - SibeliusSounds klingen bei gleichem Notentext anders als z.B. ein angeschlossenes MIDI-Soundmodul oder Wallanders Noteperformer. 

Im Prinzip geht es darum, das passende virtuelle Instrument für die ausgewählte Musik zu finden und dann Note für Note anzupassen. Dabei sind die Vorgehensweisen der Notationsprogramme unterschiedlich - manche Programme bieten ähnlich wie DAWs graphische Bearbeitungsmöglichkeiten, bei anderen müssen die Werte numerisch eingegeben werden. Den Trend zur Grafik hat auch die Firma Notation Central aufgegriffen und unter anderem für Sibelius das Plugin Graphical MIDI Tools entwickelt, das die grafische Bearbeitung von MIDI-Controllern ermöglicht.

​Was kann man aus dem Klaviersatz noch herausholen?

Je nach persönlichem Geschmack können einzelne Parameter (Lautstärke, Betonung, Notenlänge, Startposition einer Note, Artikulation usw.) verändert werden.

TIPP: Füge der Komposition einige leere Takte hinzu (oder öffne ein neues Dokument mit demselben Setup) und nimm Ausschnitte der Klavierstimme mit oder ohne Metronomklick in verschiedenen Charakteren auf. Es empfiehlt sich, vor der Aufnahme ein wenig zu experimentieren. 

Probiert doch mal folgendes aus: 
Wie klingt der Klaviersatz, wenn die linke Hand einen Bruchteil zu früh oder zu spät anschlägt? 
Wie klingt der Klaviersatz, wenn die linke Hand etwas lauter ist als die rechte? 
Wie klingt der Klaviersatz, wenn man ein Haltepedal benutzt? 

Vergleicht dies mit dem Ergebnis, das ihr bekommt, wenn man die Töne mit der Maus oder Tastatur eingibt. Am besten hört man es, wenn der Hall komplett abgestellt ist.

Je drei unterschiedliche Versionen:

​zum Vergrößern klicken.

mit Hall

ohne Hall

Fazi​t:

Bereits kleine Varianten beim Einspielen von Musik mit einem MIDI-Keyboard wirken sich auf den Charakter der Musik aus. Bevor man sich Gedanken über Keyswitches (Auswahl von Sounds) und Automation von Controllern macht, sollte der „reine Notentext“ optimiert sein, egal ob man die Tonhöhen mit Maus oder Tastatur eingibt oder sie mit Klick einspielt. Später müssen eventuell noch Korrekturen vorgenommen werden, da es klangliche Kollisionen mit anderen Instrumenten geben kann.
Interessant ist auch, welche Wirkung ein ausgehaltener Klang im Hintergrund haben kann. Nicht umsonst ist dieses Phänomen auch in der Filmmusik so beliebt – erfunden wurde es allerdings schon viel früher in der Musikgeschichte. Wer Musik für Orchesterinstrumente schreibt, sollte sich auf jeden Fall symphonische Musik ab dem 19. Jahrhundert anhören und wenn möglich einen Blick in Partituren aus dieser Zeit werfen.

Bitte noch etwa​s Geduld!

​Wir sind immer noch bei den „Werksounds“ einer Notationssoftware. Die Box mit den Klängen anderer Hersteller bleibt noch geschlossen. Der optimierte Klavierklang von eben wird für den nächsten Schritt übernommen: Jetzt geht es um den gehaltenen Streicherklang.

 mehr ...

Bei der Arbeit mit virtuellen Instrumenten wird man durch die große Auswahl an Möglichkeiten leicht dazu verleitet, die Auswahl der Artikulationen nach der Methode „Versuch und Irrtum“ zu treffen. Manche kryptischen Bezeichnungen auf den Player-Plug-ins verraten wenig über die tatsächliche Klangerzeugung auf dem originalen (akustischen) Instrument. Namhafte Hersteller dokumentieren immerhin die verschiedenen Artikulationen und Mikrofonierungen, VSL bietet z.B. eine eigene Instrumentenkunde mit historischer Entwicklung der Instrumente und Notationsweisen. 

Umgekehrt muss man sich bei einer Partitur (Papier oder digital) überlegen, wie z.B. der gehaltene Streicherton klingen soll oder wie die Instrumentalisten spielen sollen. Idealerweise hat man eine Klangvorstellung oder ein Beispiel aus der Literatur, an dem man sich orientieren kann. Ohne sich mit den Instrumenten, für die man schreibt, zu beschäftigen, kommt man nicht weit. Dank zahlreicher Tutorials im Internet kann man sich mit der Spielweise und den Klangmöglichkeiten gängiger akustischer Instrumente etwas vertraut machen. Wer mehr wissen will, kann einen Blick in Lehrbücher für Instrumentation werfen.

B​​ei der Klavierstimme gab es noch nicht so viele Fragen – im Audiobeispiel klingt ein Instrument mit einem Spieler. Etwas anders verhält es sich bei dem Streicherton. 
Aus den Sibelius-Werksounds kann man eine bestimmte Sektion der Streichergruppe auswählen, z.B. die ersten Violinen, wie im Hörbeispiel. Es ist nicht bekannt, wie viele Spieler an den Samples beteiligt sind. Dass es sich bei der Gruppe „Violine 1“ um mehrere Spieler handelt, kann man jedoch Durchhören unterschiedlicher Artikulationen erkennen. Das folgende Video demonstriert dies mit einfachen Mitteln.

 mehr ...

​Wenn z.B. zwei 1. Violinen den Ton „e“ live auf der D-Saite etwa gleich laut spielen, wird man fast immer feine Abweichungen feststellen. Dafür gibt es verschiedene Ursachen: z.B. das Spielniveau der Spieler, minimale Intonationsunterschiede zwischen den beiden Instrumenten, evtl. unterschiedlich schnelles Vibrato. Das klingt zunächst problematisch. Mit zunehmender Anzahl von Mitspielern vermischen sich diese kleinen Abweichungen jedoch. Ein Erfahrungswert aus der Instrumentation sagt: Die Anzahl der Spieler in der Gruppe sollte mindestens „drei“ betragen. Die Mischung der einzelnen Instrumente ergibt dann den charakteristischen, volleren Klang der Gruppe.
Gute Informationen über den Klangcharakter von Streichinstrumenten findet man z.B. im Bereich ‚Academy‘ auf den Seiten der Vienna Symphonic Library.

Artikulationen

​Das Video zeigt eine Auswahl möglicher Artikulationen für den gehaltenen Streicherton. Verwendet werden die Sounds einer Notationssoftware.

​zum Vergrößern  klicken.

Nächster Schritt: eine Streicherfläche

​Im nächsten Schritt soll gezeigt werden, wie aus dem Halteton eine Streicherfläche instrumentiert werden kann, die auch live problemlos gespielt werden könnte. Dazu werden die bisher strengen Regeln etwas gelockert:

​Die Artikulationen im Video haben sehr unterschiedlichen Charakter. Für das Streicher-Pad soll nun aus der Vielfalt der Möglichkeiten „eine“ Auswahl getroffen werden: 

​​​„Die Streicherfläche soll etwas matt klingen, ohne zu sehr vom Klavierp​art abzulenken. Die Streicherfläche kann in sich dynamisch werden, ohne dass andere Tonhöhen (außer Oktaven) verwendet werden“.

Was eignet sich für eine 'matt' klingende Streicherfläche?

​Variante 1: „non vibrato“
Variante 2: „sul tasto“

Auf einer (akustischen) Violine ist es ohne weiteres möglich, mehrere Artikulationen zur gleichen Zeit zu spielen. Da die nun entstehende Partitur auch für den Live-Einsatz geeignet sein soll, sollte man auf jeden Fall auf beliebte DAW-Arbeitstechniken verzichten: nämlich ggf. zwei Artikulationen „übereinanderzulegen“. Instrumentalisten spielen dies problemlos in einem Zug – lediglich mit einem Hinweis in den Noten: „sul tasto, non vibrato“. Ein Herumbasteln an Softwareinstrumenten führt nicht immer zum Erfolg. Von den in der Notationssoftware Sibelius verfügbaren Sounds ist vielleicht „sul tasto“ am besten geeignet, da es sich um ein Sample "ohne vibrato" handelt.
Kurze Informationen zu Spieltechnik und Klangcharakter von "sul tasto" gibt es bei der Vienna Symphonic Library.

Eine mögliche Lösung

Streicherbesetzungen variieren je nach gespielter Literatur:

5-3-2-2-1 z.B. für kleines Streicherensemble
8-6-4-3-2 z.B. für eine klassische Streicherbesetzung
16-14-12-10-8 für eine (spät-) romantische Streicherbesetzung

Auch die Sitzposition der einzelnen Stimmen kann variieren - so können 1. und 2. Violinen nebeneinander oder einander gegenüber sitzen. Beim Livespiel hat dies Auswirkungen auf das Zusammenspiel, bei Strudioproduktionen auf das Klangbild.

Je nach Komposition sollte man sich eine Strategie für die Instrumentation ausdenken,

​Aktuelle Notationsprogramme mit eigener Soundbibliothek bieten in der Regel die hier beschriebenen Anpassungsmöglichkeiten. Bevor im nächsten Szenario auf externe Klänge eingegangen wird, noch ein Wort zum Vergleich der Soundbibliotheken. Auf YouTube finden sich Beiträge, in denen Notationsprogramme Notentexte mit Hilfe verschiedener Klangbibliotheken „rendern“. Die Ergebnisse werden dann verglichen. Ein Vergleich aus der Praxis: Wer schon einmal Instrumente beim Händler oder Instrumentenbauer ausprobiert hat, weiß, dass diese naturgemäß unterschiedlich klingen und sich auch unterschiedlich anfühlen (!). Man braucht Zeit, um sich auf das Instrument einzustellen. 

​Übertragen auf den Soundvergleich im Internet heißt das: Das bloße Rendern eines Musikstücks holt noch nicht das Optimum aus einer Soundbibliothek heraus. Oft hört man von Produzenten die Aussage, dass man im Prinzip jede einzelne Note einer Komposition „anfassen“ und „anpassen“ müsse. Dies gilt sowohl für die Arbeit mit einer DAW als auch mit einem Notationsprogramm.
zum Szenario #2